Als sich 1868 durch ein bayerisches Landesgesetz die bisherigen Gewerbevereine auflösten, entstanden an deren Stelle sogenannte freie Innungen mit freiwilliger Mitgliedschaft. Das Münchner Schneidergewerbe, das aufgrund der neuen Gewerbefreiheit in den 1870er Jahren starke Konkurrenz durch Fertigkleidungs-Betriebe bekam, schloß sich am 15. Oktober 1883 zu einer solchen freien Innung zusammenlegt. Seit der Novelle zur Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 gab es für die einzelnen Fachbereiche daneben auch Zwangsinnungen, denen nach dem Gesetz jeder Handwerker angehörte, der ein Gewerbe selbständig betrieb. Die Neigung zum Beitritt war anfangs gering, denn den Zwangsinnungen war im Gegensatz zu den freien Innungen unter anderem jede wirtschaftliche Betätigung untersagt. Teils durch ein neu erwachendes Standesgefühl, teils durch die fördernde Beratung der 1900/01 neu errichteten Handwerkskammern änderte sich diese Haltung jedoch langsam, Auch aufgrund der durch die sich ausbreitende Konfektion immer mehr bedrängten Lage des Gewerbes wurde auf der lnnungsversammlung der Münchner Schneidermeister vom 15. Februar 1909 im Großen Kollergarten in der Schwanthalerstraße beschlossen, die bisherige Freie Innung in eine Zwangsinnung umzuwandeln. Gemäß der Entschließung der Königlichen Regierung von Oberbayern vom 6. Dezember 1909 nahm die Innung unter dem Namen Zwangsinnung für das Schneidergewerbe im Stadtbezirke München ihre Arbeit auf. Dabei wurde erstmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie nicht — wie bisher — nur das Herrenkleidermachergewerbe vertreten solle. Deswegen änderte man zum 1. April 1910 die Bezeichnung Herrenkleidermacher-Innung in Schneider­Innung um. Als Obermeister fungierte der seit 1905 amtierende Carl Braun — im Vorstand waren nur Männer vertreten: In der neuen Satzung vom 15. April war trotz der

Anderungen der Titel Obermeisterin nicht aufgeführt. Wohl aufgrund interner Differenzen wegen dieser Benach­teiligung der Frauen bildeten einige Damenschneiderinnen 1912 eine sogenannte Freie Vereinigung6>. Gründerin und Vorsitzende war Therese Knauer. Diese Gruppe, die später als Damenschneiderinnung bezeichnet wurde, hat offensichtlich 1913 mit ihrer Arbeit begonnen. Auf diesen Zeitpunkt stützte sich jedenfalls die Feier zum fünfzigjährigen Bestehen im Jahr 1963. Das Jubiläum 1988 setzt diese Tradition fort. Uber die damaligen Vorgänge können bisher jedoch weder Personen noch Archivalien exakte Auskunft geben.

1922 trat die nächste Vorsitzende, Gisela Schimmel, mit der Freien Vereinigung der Damenschneiderinnen der Zwangs-innung bei7>. Den Frauen wurden jetzt mehr Rechte zuge­standen: Erstmals wählte man in den Vorstand nun auch weibliche Mitglieder8>, obwohl der offizielle Obermeister nach wie vor ein Mann war. Die Innung wurde in die Fach­gebiete Herrenschneider, Damenschneider und Damen-schneiderinnen eingeteilt. Für die Fachgebietsleiterin der Danienschneiderinnen bürgerte sich die Bezeichnung Obermeisterin ein.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten fand am 27. April 1933 eine außerordentliche Mitglieder­versammlung zur sogenannten Gleichschaltung statt9>. Daraufhin wurden zum 5. Mai 1933 Obermeister und Vorstandschaft ausgewechselt. Georg Reichelt bzw. Hans Diener und Emilie Borst, nach ihr Anna Brückner, leiteten iujn die Organisation. 1934 gab es eine eigene Satzung für ~ Herrenschneider-Innung München, 1935 war auch die I~nenschneider-Innung als Fachgruppe selbständig. Auf deren Mitgliedskarten signierte jedoch noch immer der Obermeister. 1934 wurde die Bezeichnung Schneider­zwangsinnung in Pflichtinnung für das Schneidergewerbe in Stadt- und Amtsbezirk München umgewandelt. Seit 1942 heißt die Organisation Innung des BekleidungsIdweks. Von 1945 an bestand sie auf Zonen- und Länderbasis, wobei zusätzliche Fachgruppen damals auch noch Weißnäher und Kunststopfer waren. 1954 wurde die Satzung geändert, und die Innung erhielt den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Erst um diese Zeit war nun auch de facto die Obermeisterin — 1945 immer noch offiziell als Fach gruppenleiterin bezeichnet“> — dem Obermeister gleichgestellt worden. Heute ist auch in der Satzung verankert, daß ein Obermeister und eine Ober­meisterin gewählt werden.

Die Geschichte der Frauen in der Innung soll in der Aus­stellung in der Galerie Handwerk mit Originalmodellen aus den Jahren 1913 bis 1988 ergänzt werden. Damit will die Galerie zum Jubiläum der Innung des Bekleidungs­handwerks einen kleinen Uberblick über die Entwicklung der Damenmode in den letzten 75 Jahren geben. Ein bißchen sind dabei aber auch — die Damen werden es verzeihen — die Männer vertreten, denn eine lückenlose Modegeschichte von Frauen anhand von Modellkleidern gibt es — noch — nicht. Die Auswahl der Firmen bzw. die Beschränkung auf nur wenige hängt ausschließlich von den vorhandenen Beständen in öffentlichem Besitz ab und ist in keinem Fall als Wertung ihrer Bedeutung anzusehen. Die Exponate stammen ausnahmslos aus der Sammlung des Münchner Stadtmuseums, das sich seit langem um die Dokumentation von Kleidung als tragendem Kulturfaktor bemüht.